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paulus buscher
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paulus buscher: leseprobe II

nach 1936: dj.1.11 - bündische jugend der nazizeit - antifaschistische jugend -
 nach 1945: fdj - bündische freischar - deutsche autonome jugenschaft

 

der weg wird mit dem gehen -

> (...) mein vater deklamierte mit absichtlich ironischer betonung gedichte, die er aus meiner geheimschublade entwendet haben musste. er zerrte, was mir heiliges eigentum schien, auf den markt des vergnügens und verzerrte, was mir köstliches ergebnis eigensten ausdrucks war, zu lächerlicher, nur spottes werter nichtwürdigkeit. glühende erregung wollte explosion, entsetzte ohnmacht zusammenbruch. einen kleinen augenblick geschah etwas seltsames. etwas, was mir später nur in wenigen, grössten stunden meines daseins ebenso spontan und unerklärlich geschah: ich kniete nieder und drückte meinen kopf tief in meine hände. es mochte eine ruhige minute sein. ohne denken, fast abwesend. ein fallen in mich selbst. ein verschweben ins wesenlose. dann lief ich auf dem selben wege, auf dem ich gekommen, wieder aus dem hause. draussen war nacht. wo ich hätte hingehen sollen, wusste ich nicht. ich marschierte flott aus der stadt heraus auf die wälle, die sie grasbewachsen umgaben, frühere befestigungswerke, damals nur noch beliebte spazierwege säumend. auf so einem wall konnte man gut stehen. es war wunderbar, das hemd aufzuknöpfen, luft, viel luft, viel gute, saubere, klare, wahre luft einzuatmen, hochzustehen, dem himmel nah, und in die sterne zu schauen. aber es wäre doch viel schöner gewesen, nun nicht allein zu sein. an jemanden denken zu können. eine hand zu drücken. zu wissen, es gibt auch andere. zu ahnen: es gibt auch eine bessere welt. du musst nicht nur hart, stark, trotzig sein für dich selbst.

irgendwann war einer da. ich fühlte es, wie er sich für mich interessierte. ich merkte, wie er meine gesellschaft suchte. schliesslich in den schulpausen und auf schulwegen immer an meiner seite war. und wie ich auch ihn immer mehr gern mochte. wir besuchten uns. er war ein jahr älter als ich, und er war ein stück grösser, schlanker, muskulöser: ein junge, gespannt wie ein auf die welt gerichteter bogen. der pfeil schnellte ab. er traf mich, wo ich am empfindlichsten war: meine sehnsucht nach gemeinschaft fand ihre erste erfüllung. draussen auf den wällen vor der stadt geschah es. da lagen wir in heraufziehenden sommernächten und sahen in den himmel und sprachen furchtbare dinge. niemand hätte sie hören dürfen. später, ich hatte längst erfahren, dass es da eine ganze gruppe von jungens gab, die dachten wie er, wie wir, später, ich war längst zu ihnen gehörig, verschworen wir dem herrlichen bund, der anders, ganz anders leben wollte als die alten, die träger der lüge, später erst sah der himmel über den wällen auch geheimnisse von nicht geringerer süsse und doch schaudernd grossartig erlebt. da hatten wir uns umarmt und geküsst. er war schön, stark, und sein körper war ein wunder. er war schön, stark, und ich fand das wunder des meinen. irgendwie war ich erlöst zu einer nie so herrlich erahnten freiheit.<

Walther Victor, alt-wandervogel aus posen. meissner-fahrer 1913, teilnehmer am reichsjugendtag der SAJ in weimar, 1920. als jude und sozialdemokrat 1933 westliche emigration; als kommunist nach 1945 rückkehr aus dem US-exil in die SBZ/DDR. ein bewunderer von "tusk" und dj.1.11. obiger text ist seiner auto-biographie: "kehre wieder über die berge" entnommen. (Willard publishing company, new york 1945; aufbau-verlag berlin und weimar; Karl-Marx-werk pössneck 1982, s. 36-37.)


mehr als nur ein intellektuell-ästhetisches totem -



der wanderfalk: falco peregrinus peregrinus: greifvogel mit der vollkommensten flugweise in höhe und weite; beim herabstossen bis zu 350 kmh schnell; jagend in wald- und gebirgslandschaften, in tundren und an meeresküsten. wanderungen: hochnordische formen ziehen bis in die tropen.

dem stauferkaiser Friedrich II. (1194-1250), berühmt als mathematiker, naturwissen-schaftler, philosoph und verfasser eines buches über die falkenjagd, dessen umgangssprache die damalige gelehrtensprache arabisch war, galt der wanderfalk als symbol der schönheit und des erhabenen lebensgefühls. er selbst war eine von der deutschen jugendbewegung und dem dichterkreis um Stefan George verehrte idealgestalt der aufgeschlossenheit für die sinnfragen des seins und des eigenen bemühens um die kultur von kunst und wissen. (künstler, forscher und soldat in eins zu sein: eine forderung von dj.1.11, die auf den universalisten Friedrich II. verweist).

»tusk« beschäftigte sich schon als schüler mit ornithologie. bereits seine frühesten vogelzeichnungen wurden wegen ihrer schönheit und exaktheit von wissenschaftlern gerühmt. ziehen wir das mit dem oben beschriebenen in betracht, können wir wissen, warum er den falco peregrinus peregrinus als symbol für dj.1.11 wählte: den falken in seiner lebendigen schönheit und gewandtheit zu betrachten, bringt eine zuneigung zu ihm hervor, die das idealisierte bild der eigenschaften in sich trägt, die auch dem schöpferischen menschen als vorbildlich gelten: der falk also das symbol für das hochfliegend eigene: für wildheit, freiheit, wagnis und mut. und im emblem der jungenschaft die drei wellen: als das sinnbild des unwägbaren lebens gedacht: weite, tiefe, unergründlicher ozean.

der bauhaus-geschulte künstler »tusk«, der als gestalter in kugel, kubus und pyramide die drei konstruktiven grundformen jeder komplexen erscheinungsform sah (zweidimensional als kreis, quadrat und dreieck gedacht), und der diese absolute sichtweise in der forderung nach strenger geistigkeit und ästhetik sich und denen nahelegte, die mit ihm im bunde waren, zeichnete den falken in dieser art: aus den kreisen und kreissegmenten den körper und die schulterelemente der schwingen; von den schwingenspitzen und in verlängerung der schwanzfedern zur spitze des schnabels und darüber hinaus: die langausgeformten gleichseitigen dreiecke als erlebniselemente des pfeilschnellen flugs.

die wiedergabe dieses konstruktions-schemas legt dar, wie der falke zum piktogramm gestaltet wurde, das sich von allem redundanten abstrahiert und damit archtetypisch ist. vom grafiker ist zu sagen, dass er jemand ist, der die dinge des lebens im gegenlicht sieht. zur schärfe seiner intellektualität muss aber immer auch des malers liebe zum ausgeleuchtet farbigen detail treten. mit anderen worten: tao, zen, dj.1.11.