das stigma paulus buscher leseproben startseite kontakt

      


paulus buscher
56290 dommershausen
e-mail


paulus buscher: leseprobe V

eine bündische schule der nichtanpassung
 und des widerstands

 

»wer je die flamme umschritt«: »bund« ist die freie assoziation gleichgerichtet fühlender, denkender und handelnder menschen, die in vielfacher sympathiebindung und hingabe den ihnen gemeinsamen idealen folgen, die aber niemandem gefolgschaft leisten. »orden« ist der kreis der sich dem bund und seinem arkanum tiefer verpflichtenden geistigen bruderschaft.

ich spreche vom »bund sonnfried«, der 1939 von einem freundeskreis im konzentrations-lager esterwegen gegründet wurde, der sich an taoismus und zenbuddhismus orientierte: mit wurzeln im welt-träumerischen wandervogeltum der frühesten jahre des jahrhunderts, das aus einer antibürgerlichen und antiwestlichen weltanschauung heraus schon dem ostischen denken zuneigte. dj.1.11 hatte dieses zur jungenschaftlichen werthaltung kultiviert und -in der 1933 von »tusk« herausgegebenen zeitschrift »die kiefer«- als eine über jede normgesinnung erhabene geisteshaltung und immunisierung gegenüber dem nazi-faschismus zu vermitteln gesucht. aus beiden jugend-bewegten strömungen: aus dem ostisch orientierten denken des bildungsbürgerlichen wandervogels (graf Dürckheim) und der jungenschaftlichen werthaltung heraus, schuf sich der »bund sonnfried« die romantische gesetzes-tafel seines ordens: unter den augen der KZ-bewacher und inmitten vieler verleumderischer gegner des bündischen antifaschistischen wegs.

ich bin nicht von kommunisten, ich bin von bündischen visionären zu den extremsten vorstellungen einer neuen sozialen kultur geführt worden. dabei werden bündische gesellungsformen in der allgemeinen gesellschaft als sektierertum verstanden. dem widerspreche ich nicht, denn tatsächlich sind sie ein aufgehobensein im besonderen. aber nach allen erfahrungen des lebens, wie es nun einmal ist, denke ich heute wieder in zuneigung an die menschen und ihre unerfüllbaren idealistischen welt-vorstellungen, die mich als junge beeinflussten: 1941! da war ich 13, mitten unter Hitler. meine freunde meinten es ernst und nahmen jeden ernst, der die ideale unserer gemeinschaft verfocht oder verriet; feind war, wer den orden verfolgte. so begann für mich eine neue zeit.

unser leben der verbotenen zusammenschlüsse war tagtäglich unter anfeindung und verfolgung auf spannung gesetzt. der dichter Ernst Jünger war ein freund unserer freunde. sein credo war ihre devise: »gespanntes leben ist adel« (»das abenteuerliche herz«); so wurde es uns vermittelt, und so verstanden wir es. im reich der anpasser und mitmarschierer lebten wir eigensinnig sendungsbewusst. wir hingen einer als eigenartig anmutenden elitären militanz an: uns erschien unser katharerisch-pazifistischer und gewiss wiedertäuferischer anspruch in der zeit des gegentums gegen die nazis nicht als unvereinbar mit der zugleich vermittelten Jüngerschen kriegerhaltung. dabei war keiner der jüngeren freunde älter als 18 jahre! und wir verpflichteten uns der gemeinschaft mit dem gelübde der hingabe in wahrhaftigkeit als ein innerster bekenner-kreis: ein »orden« über dem »bund«: im »3.reich« eine widerständische bündische schar.

ein einziges exemplar der ordensgelübde von 1939 gibt es noch: in einer staatlichen akte zum bündischen widerstand. ich sandte das dokument im april 1950 dem innenministerium NRW in düsseldorf mit der dringenden bitte zu, mir diesen einmaligen beleg bündischen »gegentums« gegen den nazifaschismus nach einsichtnahme wieder zurückzugeben. doch man behielt das dokument, geübt in anmassung und machtwillkür, ohne jeden kommentar ein. es galt damals wohl schon, dem bündischen antifaschismus die beweisgrundlage zu entziehen. ­

am 10-11-1998 durfte ich in einem archiv einblick in mein eigentum nehmen. eine traurig stimmende erinnerung an meine freunde und eine offenlegung der unehrenhaften machenschaften staatlicher behörden der nachkriegszeit, die mit denen der nazi-zeit identisch oder vergleichbar waren. ich wusste bislang nicht vom erhaltensein des dokumentes. man hatte mir in den fünfziger jahren mitgeteilt, dass es verschollen sei. erst die mir im oktober 1998 zugespielte magisterarbeit eines GESTAPO-akten-kompilateurs verwies auf den findort.




»bund sonnfried«: ein geistiger adelsstand freier jugend, mitten unter Hitler? ein orden, der sich die strengsten regeln auferlegte: die farbe »ätherblau«! ­­
für freundschaft und bund waren wir jungen zu gewinnen und zur selbstaufgabe bereit. politisch -im sinne von parteipolitisch- war das selbstverständlich nicht! es war in der nazizeit -gegen staat und gesellschaft- höchstpolitisch! hinsichtlich des ausbleibens des roten massenwiderstands ist heute noch psychologisch erklärbar, warum manche -im denken und verstehen dogmatisch behinderte- genossen in unserem idealismus nur den idealismus und nicht die zu allem entschlossene haltung und entschiedene neigung zur antifaschistischen tat sehen. wir waren im handeln unbedenklicher und effektiver als sie, die uns eine sekte nannten. das nahmen wir hin. mit sekten sind despoten nie leicht fertig geworden. zwei strophen unseres ordensliedes, das im tonfall des weltfremden idealismus klingt, aber mehr bewirkte, als nur die missachtung von realität und norm:

wir sind des lichtes leben,
der sonne kameraden,
zu freiheitlichem streben
ist unser bund geladen
 
des morgenlichtes strahlen
erfüllen uns mit freude,
verlasst des dunklen schalen,
schafft mit am lichtgebäude. (*)


(*)
ursprünglich: "sprung auf und in das leben, ihr jungen kameraden". worte von werner helwig. 1933 dem illegalen wiesbadener landstreicherorden des nerotherbundes gewidmet. weise eines sardischen fischerliedes, 1929 von helwig aufgezeichnet).





die wenigen und die vielen -

> ich glaube an den wert der kleinen zahl.< (André Gide). aber meine hoffnung galt immer »janhagel«! welch ein trauhm-wort für das empörerische volk. »ca ira!« »ca ira!« der sturm auf die bastille: welch ein romantisches bild der nemesis. ich stehe auf der seite der utopischen träuhmer. »was für ein kommunist bist du heute?« frug mich ein berliner freund, als wir nach 1989 zu definieren suchten, was der mensch ist, und was menschlichkeit heute sei, wo der freie markt der niederen instinkte als freiheit gepriesen wird. darauf entgegnete ich, dass ich kommunist bin; aber auch, dass ich kein unkritischer verfechter einer in sich geschlossenen ideologie sein kann.

der literatur-nobelpreisträger José Saramago am 8. oktober 1998 auf der frankfurter buchmesse: »wenn man mich fragt, ob ich kommunist sei, so sage ich, ja! ich bin ein kommunist; jedoch kein blinder! ich bin ein bekennender atheist, zutiefst vom christlichen ethos geprägt.«

als kommunist ein mensch zu sein, welcher der symbole und ideologie der christlichen religion oder anderer anpassungs-systeme nicht bedarf, der ohne heiland, ohne kreuz und ohne sakramente ... aus sich heraus ... nach den christlichen oder weltanschaulichen idealen allumfassender liebe lebt: das habe ich immer bewundert, weil es nur wenige christen gibt, die dazu in der lage sind.

ich aber bin ein kommunist, der die vervollkommnung des menschen als heraufbildung aus humanismus und aufklärung heraus sieht. freiheitlich gesinnt, nehme ich jedoch die erfahrung wahr, dass es weder auf die begründung noch auf die bezeichnung des von uns gewollten ankommt. es kömmt darauf an, die bessere welt zu wollen und zu gestalten. und solange es noch ausbeutung, soziale ungerechtigkeit und krieg gibt, werden sich menschen zusammenfinden, die sich gegen die schinder und schänder der welt stellen werden: das ist zutiefst des menschen art! um des menschseins willen kommt es darauf an, den kampf gegen die unmenschlichkeit zu führen, ungeachtet der frage, ob dieser kampf siegreich sein wird ... oder wieder und wieder in niederlagen endet ... weil man die menschen nicht zur menschlichkeit zwingen kann. Stalin. --

zehn jahre nach unserer diskussion über die frage, was der mensch sei; nach zehn jahren der erfahrung des freien marktes und der zerstörung der solidarität und der guten gesitten und gesinnung unter seinen bedingungen in den alten ländern der DDR, lege ich meinem berliner freund meinen text-entwurf für die jahreswunschkarte 1999 vor:

»friede, freiheit und soziale gerechtigkeit, menschliche würde und aufrechter gang: waren das denn nur die trauhmwörter und begriffliche visionen ... fernab jeglicher realität ... oder bezeichneten sie nicht doch die schon realität gewordenen errungenschaften revolutionärer tat? wo?

sie sind die immer wieder zu erhebenen forderungen ... nie und nirgendwo mehr zu erdulden ... sondern zu verändern die welt ... wie sie den armen bereitet wird.

eine lange zeit ... solange es krieg, unterdrückung und ungerechtigkeit gibt .. werden sie in der völker bewusstsein und erinnerung ein echo unserer losungen sein ... alte und neue und immer neue wörter der hoffnung und des willens, dass der menschheits-trauhm wirklichkeit werde ... und der tempel der menschlichkeit endlich errichtet werden möge: »nächstes jahr ... trotz alledem!«


aber die gute welt kommt nicht vom guten menschen allein. das ist es, was wir bis zur vollkommenheit zu lernen haben: bisher gingen wir nicht so weit ... aus furcht zu weit zu gehen ... nicht so weit. Stalin? -- trauhm, welch ein hoffnungsvolles, sinnlich motiviertes wort! was ist schon der kurze traum dagegen?!