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paulus buscher
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paulus buscher: leseprobe VI

jugendbewegt-bündische --
 anders als die anderen

 

  bei antifaschistischen aktionen
deutscher autonomer jungenschaft
nach 1990 eingesetztes sujet

 

mistelverwandte
zauberin herbstzeitlose
schöngift aus colchis

» (...) da ich das glück gehabt habe, dem »bunde« anzugehören und einer der teilnehmer jener einzigartigen reise sein zu dürfen, deren wunder damals wie ein meteor aufstrahlte und die nachher so wunderlich rasch in vergessenheit, ja in verruf geriet, habe ich mich entschlossen, den versuch einer kurzen beschreibung dieser unerhörten reise zu wagen: einer reise, wie sie seit den tagen hüons und des rasenden roland von menschen nicht mehr gewagt worden war bis in unsere zeit: die trübe, verzweifelte und doch so fruchtbare zeit nach dem grossen kriege.« (Hermann Hesse:»morgenlandfahrt«.)

meine frühesten erinnerungsbilder sind durchweht von jugendbewegten fahnen und bündischen liedern: im sonnenlicht des morgens farben laut klingend die hügel hinan: »denn wir sind jungen, wir sind jungen, wir sind jungen aus burgund« und: »wenn wir zu feld ausfahren, dann erschallen heller die fanfaren: tahituhaaa! tarituheee! wir sind die nerother-armee!« und: »mit der grauen fahne geht des heeres schritt, alle mut'gen reisst es mit! über ihnen weht wie eine flamme die fahne«.

nerother und dj.1.11! ich habe tiefreichende wurzeln im nerothanen. das kann wissen, wer mich je kannte und mich diese lieder singen hörte. dass ich in eine gruppe von dj.1.11 gekeilt wurde, hatte seinen grund ausschliesslich in individueller zuneigung und war unausweichliche hereinwahl in eine gruppe mit kommunistischen anschauungen, weil ich (gegen meinen SS-vater ... von einer revolutionären kommunistin) seit meinen frühesten jahren kommunistisch indoktriniert war, und also in die gruppe »hineinpasste«.

man wird fragen, ob denn nicht die verschiedensten herkünfte und eigenheiten der illegalen bündischen während der nazi-zeit ohnehin in vergleichbarer stilform und durchgehend antifaschistischer haltung und solidarität aufgehoben war. ja, es gab die antifaschistische, die sozialistische und die solidarität der »anders-gläubigen«; es gab die gegenseitige zugeneigtheit aller, die mit uns waren. in den illegalen gruppen lebten viele welterneuerungs- und schwärmerischen gerechtigkeits-ideen fort: vom angeblichen ur-christentum (1) über die kommunistischen utopien der Morus und Campanella, Boissels und Morelly, vom Tolstoianismus bis zu Gustav Landauers ideen des sozialismus der jugend. aber diese solidarität galt manchmal nicht auch für den erklärten anhänger und verteidiger des ganz und gar rationalen partei- kommunismus, worunter man theorie und praxis der KPD und darüberhinaus ... oder dahinterstehend ... die KPdSU (B) verstand. tatsächlich schwärte selbst im gegentum gegen die nazis in manchen schwachen köpfen der von diesen gepredigte antikommunismus. davon kann ich berichten, weil es mich betraf und immer noch betrifft! von verehrten und bewunderten menschen zum kämpferischen sozialismus geführt, war ich ein kommunist der parteinahme für die sowjetunion von kindesbeinen an, und ich bleibe es trotz alledem, denn: »das herz ist kein knie, das man beugen kann«.

dabei habe ich intern die religiösen dogmen des Marxismus-Leninismus doch stets zweiflerisch in frage gestellt. (Karl Marx selbst: »de omnibus dubitandum«: »an allem ist zu zweifeln«). das lebendige denken ist eine funktion des lebens selbst, das seine widersprüche im aktuellen geschehen ausspielt. das unaufhörliche werden und sich verändern des seins kennt keine wartestationen, an denen das leben verharrt, bis es die dogmen eingeholt haben oder es selbst die dogmen einholt, um mit ihnen in übereinstimmung zu kommen. ich habe die ansicht vertreten, dass die fixierung politischer weltanschauung an sich, weil starr, falsch sei. das streben nach der gerechten und friedlichen welt müsse in seelischer gestimmtheit auf dieses axiom der menschheits-entwicklung gesteuert werden, ganz gleich, wie die route unter wechselnden gezeiten, um klippen, durch untiefen und stürme halsend und wendend, sich ergeben mag. ich bin mir dessen bewusst, dass diese auffassung von den grund-erfahrungen der illegalität bestimmt ist, als nicht die auf ideologie orientierte strategie und taktik, sondern oft nur das verinnerlichte axiomatische gerichtetsein die ortung des richtigen wegs wusste: im WIR der gemeinschaft der unbeirrbaren antifaschisten!

(1) Kurt Hager, der von westdeutschen propagandisten des kalten krieges als chef-ideologe der SED dargestellt wurde, kam aus dem »Hans-Leo-Hassler-madrigalchor« des köngener bundes. -sein fahrtenname war »blitz«-. Hager legte mir in gesprächen dar, dass er über die lektüre der geschichts-materialistischen dokumentation von Heinrich Eildermann: > urkommunismus und urreligion< zum Marxismus-Leninismus und zur KPD gekommen sei. (internationale arbeiter-bibliothek band 3. a. Seehof & co. verlag, berlin C 54, 1921).





»wo kommen wir eigentlich her?

die breite jugendbewegung hatte sich 1933 in nazi-wahn oder resignation selbst aufgelöst, sie wurde in die HJ überführt; die wochenend-wanderer liessen sich verbieten; aber die bündischen lebenssinn-gemeinschaften waren nicht einfach per dekret aus dem leben zu streichen.

als bild: die massen waren abgelaufen; zurückgeblieben waren die eigensinnigen urgesteine, wie felsenklippen geheimnisvoll anziehend, riffe und küsten vor dem roten abendhimmel der niedergehenden zeit. die lieder dieser stimmung: im dunklen moll. wer je ikarus stürzen sah, fühlt noch in sich die trauer solcher dunkelheit. das tragische weltgefühl. - aber mehr an trotz als hoffnungslosigkeit klang in den liedern der jüngsten gruppen; mehr aufruhr der trommeln ... und hart geschlagene moll-akkorde wurden über das saitenzupfen der lautenspieler des romantischen wandervogels gesetzt. das helle dur des jauchzenden morgendlichen aufbruchs freier jugend war unter Hitler weithin verklungen. kein erstürmen mehr der hügel und kein hissen mehr der sonnenfahnen. oder nur noch im geheimen. wer weiss, was bündisch ist, der misst seine art und gediegenheit an gesang und spiel der gruppen. »das singen der seele«. »es singt sich heraus«. »es ist für die gemeinschaft konstitutiv«. wie soll man es noch benennen? so nannte man es.

für die bündischen gruppen der nazizeit war eine begegnung mit den alten bündischen aller nur denkbaren richtungen der jugendbewegung für ihre eigene stilfindung wesentlich. die jungen gruppen wurden von den älteren wandervögeln und angehörigen -längst nicht mehr eigenständig existierender- bünde auf ihr »neubündisches gefährtentum« hin angesprochen; wahlverwandtschaften entstanden. das öffentliche singen der bündischen lieder auf strassen und plätzen diente bewusst der anziehung von interessierten und sympathisanten. und zu den eigenwilligen, die sich jeder gleichschaltung durch die nazis verweigerten, waren die kontakte nie abgerissen.

und noch anderen begegneten die gruppen bei ihren fahrten, denn überall wurden die traditionellen fahrtenziele -zumeist bauernhöfe und abseits gelegene herbergen- von den jugendbewegten fahrensleuten immer noch frequentiert. ich kannte während des krieges keine junge gruppe, die nicht zu älteren bündischen kontakte unterhielt. das allen gruppen gemeinsame und verbindliche element war eine tiefreichende naturverbundenheit. aus ihr heraus formten sich die für die bündischen umtriebe typischen stilformen der gesellung bei fahrt und lager, draussen, im unbefestigten. -

(»was wissen die grundstücks-eigner der wissenschaft von dem, was auf der freien wildbahn des geistes das wahre leben ist?« so frug ein kreis der freunde um Ernst Jünger, der mit uns war ... mit spott und hohn).

die konglomerationen gross-städtischer eckensteher und devianter strassen-cliquen, die von der rufmörderischen GESTAPO mit den autonomen bündischen gruppen identifiziert wurden, unterschieden sich vor allem hinsichtlich der gemeinschaftlichen kulturformen in deutlichster weise von ihnen. doch manche der von mir verachteten sinnstifter der geschichte stilisieren solche subproletarischen jugendgangs in wuppertal (die von uns als »heckenpenner« bezeichnet wurden) zu anarchisten hoch und dichten ihnen vollkommen widersinnig die rolle politischer initiatoren der antifaschistisch-bündischen bewegung an, zu der in unserem engeren umfeld überwiegend katholische jugendliche zählten. nicht nur diesen coup, der auf das faible eines besonders umtriebigen liebhabers angeblicher anarchistischer fabulisten zurückgeht, prangere ich als geschichtsverfälschung an; und nicht nur wegen der harschen zurückweisung der geschichtsverfälschungen dieser art betreiben die geschichtsverfälscher eine üble hetze gegen mich. sie erklärt sich auch so: »wer sich einsetzt, setzt sich aus«. wer aber heute noch immer die propagandistischen konstrukte der Nazis und der GESTAPO für wahr hält und sich der diffamatorischen bezeichnungen ihrer politischen gegner zur kennzeichnung derselben bedient, der setzt die »arbeit« der GESTAPO wissentlich fort. er ist ein GESTAPIST, ein nazi, ein gewissenloser ehrabschneider.



der glatte kiesel
in meinen händen beinah
ein pochendes herz


freundschaften mit »guten menschen« zeugen idealistische vorstellungen von der welt, wie sie sein soll; sie vermitteln nicht das bewusstsein davon, wie die welt tatsächlich ist. mehr romantisch, als notwendig politisch denkend, wollten wir nach dem ende des nazismus solche »guten menschen« sein, wie es die bewunderungswürdigen und von guten taten überzeugten Tolstoianer, Gandhi-verehrer oder anhänger der bruderhof- Hutterer der jugendbewegung es waren. sie lebten ein einfaches leben in bewusst kultivierter armut. ihnen genügte, was ihre gärten und kleinen ländereien für den grunderhalt solchen lebens hergaben. (aber ... »zuckererbsen nicht minder«). daneben suchten sie pilze und beeren und alle essbaren früchte und wildgemüse der wiesen und wälder, die sie kannten oder wiederentdeckt hatten, in ihrer zuwendung zur »alles-spenderin« erde. reich war ihr leben an innerer stille und demut gegenüber der natur. mir sind die sinnvollen und schönen gemeinschaftsabende in ihren siedlungs-häusern, die hausmusikabende, die vorlese-stunden, als erfahrungen tiefsten friedlichen glücks -auch während des krieges- noch nahe und lebendig erinnerbar: als wir aus kalten, schnee-durchwirbelten abenddunkelheiten in ihre häuser traten, die von kerzenlicht oder kamin-feuern erhellt waren.

wie beseelt erschienen ihre mythen des lebens, deren gestalten die berge waren, die quellen und bäche, die wege hinauf: höhe und weite; und der boden, der pflug, aussaat und ernte. reinheit und wiedergeburt. wie märchenhaft waren ihre wortbilder und lieder, die im altglauben an die symbolbilder der renaissance, an die jungbrunnen immer neuen beginnens, der profanen welt der gesellschaft da draussen so sehr widersprachen; widersprüchlich auch zu unserer jungenschaftlichen militanz. doch war ich angerührt von der friedlichen wesensart der jugendbewegten siedler. unsere lieder waren die »soldatenchöre der eisbrechermannschaft«, in wort und klang kühn und mitreissend; aber wie schön erschienen mir in der kriegszeit auch ihre lieder, in denen kein marschtritt widerhallte:

es dunkelt schon in der heide, der schnee, der ist zerschmolzen, aus
nach hause lasst uns gehn; das wasser läuft dahin; ostpreussen
wir haben das korn geschnitten kommst mir aus meinen augen,
mit unserem blanken schwert. kommst mir aus meinem sinn."

ich hörte die sichel rauschen, in meines vaters garten,
sie rauschte durch das korb; da stehn zwei bäumelein,;
ich hört mein feinsliebchen klagen, der eine, der trägt muskaten,
sie hätt' ihr lieb verlor'n. der andere braunnägelein.

"hast du dein lieb verloren, muskaten, die sind süsse,
so hab ich doch das mein. braunnägelein, die sind schön;
so wollen wir beide miteinander wir beide müsse uns scheiden,
uns winden ein kränzelein. ja scheiden, das tut weh.

ein kränzelein von rosen,
ein sträusselein von klee.
zu frankfurt auf der brücke,
da liegt ein tiefer schnee.



und in dem schneegebirge ich hab des brünnleins trunken weitere
da fliesst ein brünnlein kalt, wohl manchen frischen trunk. strophen.
und wer des brünnleins trinket, ich bin nicht alt geworden,
und wer des brünnleins trinket, ich bin nicht alt geworden, schlesisches
wird jung und nimmer alt. ich bin noch allzeit jung. volkslied.



jung! nicht nach alter, das konnte grau und gebeugt sein: jungsein als wachheit, offenheit, geistige beweglichkeit währenden aufbruchs; neugier auf das neue, auf das andere: vor allem in der sehnsucht nach dem neuen menschen. unsere freunde, die konsequent nach ihren idealen des »neuen menschentums« lebten, waren nach unserer auffassung die genuin jugendbewegten bündischen. die völkisch-bündlerischen marschierer, die zu den nazis übergingen, die aber heute noch als die angeblich »alten bündischen«, oder, wie es eben opportun ist, als die »echten jugendbewegten« auftreten, waren es nicht. solche nazistischen inspiratoren ... auch der »jungen bünde« ... sind leicht erkennbar daran, dass sie die propaganda-these Schirachs vertreten, nach der jugendbewegung und bündische jugend in sich vollkommen verschieden und deshalb jeweils ein anderes gewesen seien. diese these dient selbstverständlich nur der geschichtsverfälschenden behauptung, dass die Hitlerjugend die einzige legitime fortführung (oder erbin!) der deutschen jugendbewegung gewesen sei, wo sie doch in wahrheit ihre zerstörerin war. ich bin und bleibe ein gegner dieser rechten geschichts-legende! ich empöre mich.



die bewunderung der menschen, die in der nazi-zeit, selbst unter androhung härtester strafen, keine hand für den krieg, aber manche hand für die unbrauch-barmachung der mittel des krieges rührten, brachte für meine jungen freunde und mich ein naives selbst- und sendungsbewusstein pazifistischer gesinnung und haltung mit sich, das allen realitäten zum trotz seine bewahrung und durchsetzung wollte. ich denke an die zeit grosser sinn- und glücksempfindungen, 1938 bis 1940, die dem zusammensein mit friedenswilligen wandervögeln der frühen jahrhundertwende-jahre entstammten.

man kann ihr vielleicht ur-christliches denken und wollen (so nannten sie es) als sektierertum bezeichnen: »dem, der dich schlägt, auch die andere wange hinzuhalten«: dazu ungerührt und mutig in der lage zu sein, das erschien uns als wahres menschentum. (man denke im gegenbild nur an die johlenden HJ- und SA-banden jener zeit!)

die veränderung der welt zum guten hin bei sich selbst zu beginnen, das schien uns nach wandervogel-art und meissner-geist das einzig richtige verhalten zu sein. oft habe ich als kommunist das weltfremde solchen engagements bedacht; aber nie habe ich die frühesten einflüsse der »guten menschen« ganz abtun können. das irritierte meine genossen und die menschen meines bürgerlichen gesellschaftlichen umfelds. ihnen galten pazifisten, vegetarier, abstinenzler, nichtraucher, naturschutzanhänger, wandernde reiser-setzer und bäume-pflanzer nur als versponnene träumer.

ich war das alles, und ich habe dafür spott und hohn, missachtung und gemeinheiten jeder art hingenommen. ich weiss also, wovon ich leidvoll sprechen kann. aber ich schwanke dennoch in der grundsätzlichen beurteilung meiner pazifistischen gesinnung, gegen die ich während des krieges unter verfolgung und nach GESTAPO- und lagerhaft verstiess, die ich als antimilitaristisch engagierter kommunist aufzugeben hatte, die ich als bündischer auch heute noch für wesentlich halte, obwohl ich nicht mehr willens bin, die aggressionen der kaprüle hinzunehmen!


früher gemeinschaft gedenkend -

Otto "otl" Grossöhmig, unserem wandervogelfreund und gefährten unserer wege -an Maria Grossöhmig-Gülden erinnernd- zu seinem 90. geburtstage, am 20-02-1999.

»vor dem walde in einem tal,
tandaradei! schone sanc diu nahtegal«
herr walter von der vogelweide:
ich sehe das tal im abbild des bildes
an einer wand der wohnstatt des lichtes
in meiner erinnerung weitem haus
der feuer und der gesänge:
haus an der leite des berges,
neuland des einen und der einen
der in zuneigung gedachten,
fahrtenziel unserer wanderungen:
ein eden der jugend!
des wirklichen bildes grünendes tal:
wiesen, tief wandernd durch wälder,
stauden der ränder, darüber himmel.
und ein quell springt da auf,
in meiner erinnerung weitester helle
aus der kälte der erde klarstes gewässer
im alles verklärenden licht:
dort, im morgen unserer frühe,
wir: mensch und sonne!
die leiber, die farben, die rufe;
die lieder die hügel hinan.
in solchen bildern denke ich an euch;
nun, im abendleuchten der tage
unserer fahrtenjahre.
wir trugen den thyrsos-stab mit uns,
die stirnen des traumes bekränzt
mit sternen und maien und blumen.
dichter begleiteten uns,
troubadoure, götter, gefährten.
im gleichklang der herzen und schritte
sind wir schulter an schulter gegangen.
flöten und geigen höre ich noch
im klingen des saitenschwingens:
»wir wollen zu land ausfahren
über die fluren weit
aufwärts zu den klaren
gipfeln der einsamkeit«.
keine flucht aus der welt:
suchend die weitsicht der höhe.
dort sehe ich dich, mein freund,
der ich -wie du- glaubte und glaube
zu wissen vom frieden der welt,
als von einem eden der jugend,
in einem grünenden tal. -pb-




exzerpt aus SI.-3, einhorn. sommer 1999