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paulus buscher
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paulus buscher: leseprobe VII

wurzelnd in frühen bildern --
 erinnerung an EFS

 

wir waren kinder der nazi-nomenklatura in wuppertal und kannten uns von deren sommerfesten, als die trefflokale des »neuen bürgertums« noch ganz friedlich »zum grünen baum« hiessen und auch so angelegt waren: draussen, im grünen gürtel der stadt, mit ruderteichen, rosen-ufer-pavillons, rosetten und rabatten.

wir sagten einander, dass wir für ein leben lang zusammenbleiben wollten. das hielten wir für gewiss, als sei es uns so vorbestimmt, weil wir uns unabgesprochen absonderten vom ausflugslokal-rummel und vom kameradschafts-rausch unserer väter, um in den blumen-wiesen am rande der trunkenheits-gärten ameisen und käfer zu bestaunen, die in gedacht fernen welten riesige geister waren: urweltwesen zwischen gott und gegengott. eine seelenverwandtschaft. wir sagten das alles mit kindlichen wörtern, gewiss, aber die bilder und gefühle sind in der erinnerung auch heute noch von jener verzauberten art. geschwisterlich zwischen den grossen blättern eines kürbisbeetes liegend, dachten wir uns diese als himmelsdach, das mit den stengeln in der erde wurzelte. wir hörten einer des anderen atmen und sahen träumend das tatsächliche und begreifbare all: wir dachten uns aus, die welt der sterne vor uns zu sehen: die kürbisse verwandelten sich da in grosse gelbe sonnen und leuchteten, so weit man in die grüne unendlichkeit schauen konnte. wir hielten uns bei der hand und beim durchschweben dieses grünen alls erlebten wir die heimlichen heimaten der kinder, dachten die sich nur weit genug entfernt von den dunklen rittern in den martialischen monturen. wir fürchteten uns, als sie uns befehlshaberisch beim namen riefen und uns pfiffen, gerade so, als ob wir ihre hunde seien. wir versteckten uns und glaubten, ihnen schon entkommen zu sein; doch sie entdeckten uns, traten brüsk in unseren traum und fingen uns wieder ein. furcht und elend! ja, so klein waren wir noch. doch würden wir grösser werden! ­




ihr vater war der stellvertreter des kommandeurs des SA-bataillons »bergisch land«, als dieser noch der stellvertreter des Ernst Röhm war. »es geht vor dem zug ein langer mann«, das sangen die kameraden auf ihn; wie mir ihr lied noch in den ohren klingt! ich sehe diesen mann, der da den anderen vorausging: assassine, meuchelmörder, seit den tagen der freikorps »roemryke berge« und »bergischer wandervogel«. ein geltungssüchtiger mit-anzettler von Röhms tod? jedenfalls dessen erbe: Victor Lutze, stabs-chef der SA. ein freund und »kampfgefährte« unserer beider väter.

ihr vater, vor mir liegt sein foto: ein harter, unnachsichtiger pistolero: die »08« gleich neben dem glitzernden SA-koppelschloss in einer art kasten rechts vorne vorm bauch. ("9 millimeter! mündungs-geschwindigkeit 335 meter in der sekunde!" ich höre ihre mord-simpeleien um waffen, macht und recht, um machtergreifung ... immer noch!)

mein vater war ein eher stiller, beobachtender prätorianer des führers. er trug die »walther PPK 7,65« in einer unscheinbaren schwarz-ledernen pistolentasche rechts hinter der seitentasche seines schwarzen waffenrocks: "aesthetisch schöner!", so war und sagte es die SS. ­ (ich übersetze PPK mit »polizeipistole kurz« oder für den »kurzen prozess«: hirum, harum ... weiss nicht, ob das erste, weiss aber -nach allem, was seither geschah- dass das zweite stimmt).

ihr vater war der chef der SA-kaserne in der kniestrasse 21 in unterbarmen, wohin man 1933 die kommunisten holte, um sie tot zu schlagen; und, waren sie tot, ihre grauenhaft verstümmelten leichname nachts von dort heimlich fortzuschaffen, um sie irgendwo auf einer deponie oder an einem strassenrand fortzuwerfen.

mein vater fühlte sich deshalb erhaben gegenüber der SA. "die SS mache so etwas nicht!" sagte er so sicher, als glaube er das auch. (glaubte er das auch?). damals, in der frühe.

ihr vater war das 10. mitglied der NSDAP, gau düsseldorf. er war ein mit-organisator der »rache des deutschen volkes« am internationalen judentum in wuppertal, in der nacht vom 9. auf den 10. november 1938, als die barmer SA die barmer Synagoge verbrannte. (seine kumpane, die »alten kämpfer«: der NSDAP-kreisorganisationsleiter Wilhelm Peters; der geschäftemacher und auktionator Bruno Koepchen -auch nach dem krieg noch tätig, hochangesehen und erfolgreich-; der bauunternehmer Ernst Becher; der dekorateur und SS-sturmbannführer Siegfried Kotthaus; der konkrete brandstifter Hugo Heubach).

mein vater, aus dem nie etwas anderes geworden war, als das, was er seit seinem siebzehnten jahr schon war: frontsoldat, freikorpskämpfer, schützengraben-sozialist, rückte am späten nachmittag des 9. november unter der losung »kristallnacht« zu einer wehr-übung aus. (das wort entstand nicht irgendwann: es war -als bezeichnung der rauh-nacht des silvestertages in der sprache des germanenkults- die parole des juden-einsatzes im reich.) nach dieser übung war mein vater stiller als zuvor! die »elite« (was die SS seiner meinung nach war) hatte dem barbarismus der SA-proles nur freie bahn geschaffen.




als wir in diesem 1938 zehn jahre alt waren, sollte ich ins jungvolk der HJ gepresst werden, und ich weigerte mich und ging daran vorbei. sie ging -als tochter ihres vaters- begeistert in den jungmädelbund; und auch, weil da gar lustig singen und springen war.

als wir vierzehn jahre alt waren, war ich in GESTAPO-haft erwachsen geworden. sie war im jungmädelbund des BDM (bund deutscher mädel) »jungenschaftsführerin«. jungenschaft nannten sie, was eigentlich »mädelschaft« hätte heissen müssen; aber der begriff stand nicht für jungen oder mädchen, sondern für eine »mannschaftsstärke«: den dritten teil eines »zuges«. und also: sie führte eine »jungenschaft« zehn gleichaltriger mädchen, mit denen sie zu uns herüberkam.

da hatten wir der mädchen in unserer freiheit inmitten der unfreiheit so viele, wie wir bald auch viele neue jungen hatten: fahrtenmädel ... fahrtenjungen. wir brauchten jede und jeden, die bereit waren, mit uns gegen die HJ und -in der weiteren entwicklung- auch gegen den staat, gegen seine armee, gegen seine industrie und alle seine einrichtungen zu sein. utopisch war eine deutsche partisanen-bewegung gegen die nazis nicht; nur war das »3. reich« für deren aufbau viel zu rasch am ende.

als wir fünfzehn jahre alt waren, war ich häftling des buchenwald-aussenlagers köln-messeturm, des SS-sonderlagers hinzert und des nebenlagers wittlich, kommando kloster himmerod. sie war nach gera evakuiert worden, nachdem die »royal air force« ganz barmen in trümmer gelegt hatte. zerstört war also auch ihr haus, in dessen elterlichem schlafgemach die urkunde zur »plakette 88« (für das 10. mitglied der NSDAP, gau düsseldorf), der ordensbrief des blutordens der nazis und die bestätigung als träger des goldenen parteiabzeichens ... sowie die persönliche belobigung des führers ... gleich ikonen über dem ehe-bett hingen. welch ein »sacre printemps«: hier, unter den heiligen-bildern des tausendjährigen reiches, in der göttlichen frühe unserer zeit, BEID-EINES gewesen zu sein.

als wir uns nach dem kriege wiedersahen, war sie die frau eines HJ-jarls aus dem elsass. wir, widersprüchlich aus den widersprüchen unserer zeit heraus: ich war frei, ein kommunistischer parteisoldat; der HJ-jarl sass wegen kollaboration in einem pariser gefängnis ein. wie ich ihn verstand! mir ist dieses lied nicht aus dem sinn, das wir im kriege -im sentimentalen angerührtsein von der widersetzlichkeit des herzens und der als romantisch erlebten fahnenflucht- sangen: >zu strassburg auf der schanz, da ging mein trauern an. das alphorn hörte ich herüberklingen, zur heimat wollte ich hinüber- schwimmen; das ging nicht an! das ging nicht an!< (aus >des knaben wunderhorn<).

sie machte uns, den HJ-führer und mich, den FDJ-führer, zu freunden. zuerst sträubte ich mich. aber dann ging es: weil er ein idealist war und ein künstler hohen grades; einer, der die welt verbessern wollte; einer, der hand anlegte, es zu tun: auch als genialer konstrukteur mit dem seelensinn für stahl und eisen, räder und hebel, mit dem wissen um masse und geschwindigkeit und energie; einer auch mit hohem sozialen ethos. tatsächlich ein freund. ­

jetzt ist sie tot, starb am tage von hermlins tod. in diesem augenblick erfahre ich es, am abend des ersten schwalbentags. die einst so fernen horizonte brannten je schon. aber jetzt sieht man es genauer: es ist ein steppenbrand! und der wind frischt auf zu mir. sie ahnte, was schneller als erwartet kommen würde. in unserer frühe lasen wir gedichte miteinander: Spee von Langenfeld, Gryphius, Heine, Trakl, Rilke, Benn; chinesische lyrik, übersetzt von Klabund. zuletzt wünschte sie sich gedichte von mir. die sollen nun mit ihr verbrannt sein, so wollte sie es, wie für sich selbst: anonym in alle windrichtungen verstreut zu sein. es gibt kein grab. niemand kennt ihren ort. aber ich besitze die durchschriften meiner letzten gedichte für sie:

für die mädelführerin E.F.S., wuppertal/colmar, 1941-1943     18-08-94

sieh die zeichen unsrer freundschaft nur die hoffnung ist gesunken
auf verblassten seidenfahnen dass die sonne heller schiene
dunkler tage der gewalt wenn die wälle wir einst nähmen
leuchten unverblichen rot die so lang uns niederhielten
ungealtert sind die bilder rot und rot sind unsre zeichen
sind die lieder und gedichte die wir uns zu eigen gaben
die gefühle und gedanken uns seit jenen dunklen jahren
jener unsrer frühen zeit unsre freundschaft zu bewahren.


für E.F.S., nach mehr als einem halben jahrhundert, zum jahreswechsel 1994/95.

unvergessen das kühne, aufrechte mädchen in den jahren des nazi-krieges: die langen roten haare frei bis über das schwarze blanke koppel fallend: eine partisanin der sinne. ich sehe dieses mädchen, das nach russischer art weiche saffianlederne stiefel trägt, vor mir: 1941, 1942, 1943. eine gefährtin gemeinsamer frühe. wir waren miteinander dort. ­

die bilder hinter den bildern 31-12-1994
der kirschblütenmonde
leuchten in den sonnenwäldern
unserer erinnerung ­­
wir beschreiten die taubeglänzten kieswege
des morgens unserer freundschaft
und vernehmen im klingen der schritte
die anwesenheit derer, die mit uns sind ­­
mit geschlossenen lidern sehe ich alles das
und wie wir uns im waldsee spiegeln
und schämen uns unserer nacktheit nicht
da auch die gestirne nackt sind
die über uns kreisen
und weiss die blütenzweige ­­
die frühe liebe spricht leise
zaghaft und unberührt noch vom allerweltswissen
und alle ihre kindlichen wörter
verflechten sich zu gedichten
und alle ihre gedichte besingen ein einziges wort ­­
und wie wir dieses eine selbst werden
dieses jüngste wort aller jungen wörter unter den sternen
das sehe ich noch und wieder im zenit meines sinnens ­­
du wir liebten uns damals und lieben uns in diesen bildern ­­
und es ist wie ein grosser gesang
und es ist als sänge uns beide als eines ein mächtiger chor
so sehr sind wir ganz und all-ergriffen
wir in den kirschblütenbildern
der sonnenwälder der erinnerung

aber die wege der zeit ­­
in der frühe einst
habe ich das alter beschrieben:

ȟber meine stirn erinnernd den 31-12-1945 -
gleiten stunden bleichen monds
wissenden auges
werde ich des efeus gewahr
der mich nachtdunkel umrankt«

das leben ... ein schmerz!