wir
waren kinder der nazi-nomenklatura in wuppertal und
kannten uns von deren sommerfesten, als die trefflokale
des »neuen bürgertums« noch ganz friedlich
»zum grünen baum« hiessen und auch
so angelegt waren: draussen, im grünen gürtel
der stadt, mit ruderteichen, rosen-ufer-pavillons, rosetten
und rabatten.
wir sagten einander, dass wir für ein leben lang
zusammenbleiben wollten. das hielten wir für gewiss,
als sei es uns so vorbestimmt, weil wir uns unabgesprochen
absonderten vom ausflugslokal-rummel und vom kameradschafts-rausch
unserer väter, um in den blumen-wiesen am rande
der trunkenheits-gärten ameisen und käfer
zu bestaunen, die in gedacht fernen welten riesige geister
waren: urweltwesen zwischen gott und gegengott. eine
seelenverwandtschaft. wir sagten das alles mit kindlichen
wörtern, gewiss, aber die bilder und gefühle
sind in der erinnerung auch heute noch von jener verzauberten
art. geschwisterlich zwischen den grossen blättern
eines kürbisbeetes liegend, dachten wir uns diese
als himmelsdach, das mit den stengeln in der erde wurzelte.
wir hörten einer des anderen atmen und sahen träumend
das tatsächliche und begreifbare all: wir dachten
uns aus, die welt der sterne vor uns zu sehen: die kürbisse
verwandelten sich da in grosse gelbe sonnen und leuchteten,
so weit man in die grüne unendlichkeit schauen
konnte. wir hielten uns bei der hand und beim durchschweben
dieses grünen alls erlebten wir die heimlichen
heimaten der kinder, dachten die sich nur weit genug
entfernt von den dunklen rittern in den martialischen
monturen. wir fürchteten uns, als sie uns befehlshaberisch
beim namen riefen und uns pfiffen, gerade so, als ob
wir ihre hunde seien. wir versteckten uns und glaubten,
ihnen schon entkommen zu sein; doch sie entdeckten uns,
traten brüsk in unseren traum und fingen uns wieder
ein. furcht und elend! ja, so klein waren wir noch.
doch würden wir grösser werden!
ihr vater war der stellvertreter des kommandeurs des SA-bataillons
»bergisch land«, als dieser noch der stellvertreter
des Ernst Röhm war. »es geht vor dem zug ein
langer mann«, das sangen die kameraden auf ihn;
wie mir ihr lied noch in den ohren klingt! ich sehe diesen
mann, der da den anderen vorausging: assassine, meuchelmörder,
seit den tagen der freikorps »roemryke berge«
und »bergischer wandervogel«. ein geltungssüchtiger
mit-anzettler von Röhms tod? jedenfalls dessen erbe:
Victor Lutze, stabs-chef der SA. ein freund und »kampfgefährte«
unserer beider väter.
ihr vater, vor mir liegt sein foto: ein harter, unnachsichtiger
pistolero: die »08« gleich neben dem glitzernden
SA-koppelschloss in einer art kasten rechts vorne vorm
bauch. ("9 millimeter! mündungs-geschwindigkeit 335
meter in der sekunde!" ich höre ihre mord-simpeleien
um waffen, macht und recht, um machtergreifung ... immer
noch!)
mein vater war ein eher stiller, beobachtender prätorianer
des führers. er trug die »walther PPK 7,65«
in einer unscheinbaren schwarz-ledernen pistolentasche
rechts hinter der seitentasche seines schwarzen waffenrocks:
"aesthetisch schöner!", so war und sagte es die SS.
(ich übersetze PPK mit »polizeipistole kurz«
oder für den »kurzen prozess«: hirum,
harum ... weiss nicht, ob das erste, weiss aber -nach
allem, was seither geschah- dass das zweite stimmt).
ihr vater war der chef der SA-kaserne in der kniestrasse
21 in unterbarmen, wohin man 1933 die kommunisten holte,
um sie tot zu schlagen; und, waren sie tot, ihre grauenhaft
verstümmelten leichname nachts von dort heimlich
fortzuschaffen, um sie irgendwo auf einer deponie oder
an einem strassenrand fortzuwerfen.
mein vater fühlte sich deshalb erhaben gegenüber
der SA. "die SS mache so etwas nicht!" sagte er so sicher,
als glaube er das auch. (glaubte er das auch?). damals,
in der frühe.
ihr vater war das 10. mitglied der NSDAP, gau düsseldorf.
er war ein mit-organisator der »rache des deutschen
volkes« am internationalen judentum in wuppertal,
in der nacht vom 9. auf den 10. november 1938, als die
barmer SA die barmer Synagoge verbrannte. (seine kumpane,
die »alten kämpfer«: der NSDAP-kreisorganisationsleiter
Wilhelm Peters; der geschäftemacher und auktionator
Bruno Koepchen -auch nach dem krieg noch tätig, hochangesehen
und erfolgreich-; der bauunternehmer Ernst Becher; der
dekorateur und SS-sturmbannführer Siegfried Kotthaus;
der konkrete brandstifter Hugo Heubach).
mein vater, aus dem nie etwas anderes geworden war, als
das, was er seit seinem siebzehnten jahr schon war: frontsoldat,
freikorpskämpfer, schützengraben-sozialist,
rückte am späten nachmittag des 9. november
unter der losung »kristallnacht« zu einer
wehr-übung aus. (das wort entstand nicht irgendwann:
es war -als bezeichnung der rauh-nacht des silvestertages
in der sprache des germanenkults- die parole des juden-einsatzes
im reich.) nach dieser übung war mein vater stiller
als zuvor! die »elite« (was die SS seiner
meinung nach war) hatte dem barbarismus der SA-proles
nur freie bahn geschaffen.
als wir in diesem 1938 zehn jahre alt waren, sollte ich
ins jungvolk der HJ gepresst werden, und ich weigerte
mich und ging daran vorbei. sie ging -als tochter ihres
vaters- begeistert in den jungmädelbund; und auch,
weil da gar lustig singen und springen war.
als wir vierzehn jahre alt waren, war ich in GESTAPO-haft
erwachsen geworden. sie war im jungmädelbund des
BDM (bund deutscher mädel) »jungenschaftsführerin«.
jungenschaft nannten sie, was eigentlich »mädelschaft«
hätte heissen müssen; aber der begriff stand
nicht für jungen oder mädchen, sondern für
eine »mannschaftsstärke«: den dritten
teil eines »zuges«. und also: sie führte
eine »jungenschaft« zehn gleichaltriger mädchen,
mit denen sie zu uns herüberkam.
da hatten wir der mädchen in unserer freiheit inmitten
der unfreiheit so viele, wie wir bald auch viele neue
jungen hatten: fahrtenmädel ... fahrtenjungen. wir
brauchten jede und jeden, die bereit waren, mit uns gegen
die HJ und -in der weiteren entwicklung- auch gegen den
staat, gegen seine armee, gegen seine industrie und alle
seine einrichtungen zu sein. utopisch war eine deutsche
partisanen-bewegung gegen die nazis nicht; nur war das
»3. reich« für deren aufbau viel zu rasch
am ende.
als wir fünfzehn jahre alt waren, war ich häftling
des buchenwald-aussenlagers köln-messeturm, des SS-sonderlagers
hinzert und des nebenlagers wittlich, kommando kloster
himmerod. sie war nach gera evakuiert worden, nachdem
die
»royal air force« ganz barmen in trümmer
gelegt hatte. zerstört war also auch ihr haus, in
dessen elterlichem schlafgemach die urkunde zur »plakette
88« (für das 10. mitglied der NSDAP, gau düsseldorf),
der ordensbrief des blutordens der nazis und die bestätigung
als träger des goldenen parteiabzeichens ... sowie
die persönliche belobigung des führers ... gleich
ikonen über dem ehe-bett hingen. welch ein »sacre
printemps«: hier, unter den heiligen-bildern des
tausendjährigen reiches, in der göttlichen frühe
unserer zeit, BEID-EINES gewesen zu sein.
als wir uns nach dem kriege wiedersahen, war sie die frau
eines HJ-jarls aus dem elsass. wir, widersprüchlich
aus den widersprüchen unserer zeit heraus: ich war
frei, ein kommunistischer parteisoldat; der HJ-jarl sass
wegen kollaboration in einem pariser gefängnis ein.
wie ich ihn verstand! mir ist dieses lied nicht aus dem
sinn, das wir im kriege -im sentimentalen angerührtsein
von der widersetzlichkeit des herzens und der als romantisch
erlebten fahnenflucht- sangen: >zu strassburg auf der
schanz, da ging mein trauern an. das alphorn hörte
ich herüberklingen, zur heimat wollte ich hinüber-
schwimmen; das ging nicht an! das ging nicht an!< (aus
>des knaben wunderhorn<).
sie machte uns, den HJ-führer und mich, den FDJ-führer,
zu freunden. zuerst sträubte ich mich. aber dann
ging es: weil er ein idealist war und ein künstler
hohen grades; einer, der die welt verbessern wollte;
einer, der hand anlegte, es zu tun: auch als genialer
konstrukteur mit dem seelensinn für stahl und eisen,
räder und hebel, mit dem wissen um masse und geschwindigkeit
und energie; einer auch mit hohem sozialen ethos. tatsächlich
ein freund.
jetzt ist sie tot, starb am tage von hermlins tod. in
diesem augenblick erfahre ich es, am abend des ersten
schwalbentags. die einst so fernen horizonte brannten
je schon. aber jetzt sieht man es genauer: es ist ein
steppenbrand! und der wind frischt auf zu mir. sie ahnte,
was schneller als erwartet kommen würde. in unserer
frühe lasen wir gedichte miteinander: Spee von Langenfeld,
Gryphius, Heine, Trakl, Rilke, Benn; chinesische lyrik,
übersetzt von Klabund. zuletzt wünschte sie
sich gedichte von mir. die sollen nun mit ihr verbrannt
sein, so wollte sie es, wie für sich selbst: anonym
in alle windrichtungen verstreut zu sein. es gibt kein
grab. niemand kennt ihren ort. aber ich besitze die durchschriften
meiner letzten gedichte für sie:
für die mädelführerin E.F.S., wuppertal/colmar,
1941-1943 18-08-94
sieh
die zeichen unsrer freundschaft |
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nur
die hoffnung ist gesunken |
auf
verblassten seidenfahnen |
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dass
die sonne heller schiene |
dunkler
tage der gewalt |
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wenn
die wälle wir einst nähmen |
leuchten
unverblichen rot |
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die
so lang uns niederhielten |
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ungealtert
sind die bilder |
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rot
und rot sind unsre zeichen |
sind
die lieder und gedichte |
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die
wir uns zu eigen gaben |
die
gefühle und gedanken |
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uns
seit jenen dunklen jahren |
jener
unsrer frühen zeit |
|
unsre
freundschaft zu bewahren. |
für E.F.S., nach mehr als einem halben jahrhundert,
zum jahreswechsel 1994/95.
unvergessen das kühne, aufrechte mädchen in
den jahren des nazi-krieges: die langen roten haare frei
bis über das schwarze blanke koppel fallend: eine
partisanin der sinne. ich sehe dieses mädchen, das
nach russischer art weiche saffianlederne stiefel trägt,
vor mir: 1941, 1942, 1943. eine gefährtin gemeinsamer
frühe. wir waren miteinander dort.
die bilder hinter den bildern
31-12-1994
der kirschblütenmonde
leuchten in den sonnenwäldern
unserer erinnerung
wir beschreiten die taubeglänzten kieswege
des morgens unserer freundschaft
und vernehmen im klingen der schritte
die anwesenheit derer, die mit uns sind
mit geschlossenen lidern sehe ich alles das
und wie wir uns im waldsee spiegeln
und schämen uns unserer nacktheit nicht
da auch die gestirne nackt sind
die über uns kreisen
und weiss die blütenzweige
die frühe liebe spricht leise
zaghaft und unberührt noch vom allerweltswissen
und alle ihre kindlichen wörter
verflechten sich zu gedichten
und alle ihre gedichte besingen ein einziges wort
und wie wir dieses eine selbst werden
dieses jüngste wort aller jungen wörter unter
den sternen
das sehe ich noch und wieder im zenit meines sinnens
du wir liebten uns damals und lieben uns in diesen bildern
und es ist wie ein grosser gesang
und es ist als sänge uns beide als eines ein mächtiger
chor
so sehr sind wir ganz und all-ergriffen
wir in den kirschblütenbildern
der sonnenwälder der erinnerung
aber die wege der zeit
in der frühe einst
habe ich das alter beschrieben:
ȟber meine stirn
erinnernd den 31-12-1945 -
gleiten stunden bleichen monds
wissenden auges
werde ich des efeus gewahr
der mich nachtdunkel umrankt«
das leben ... ein schmerz!
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